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Lifestyle Philosophie des Lebens

Coolness und Eitelkeit sind die neuen Tugenden

Junges Paar in Badekleidung am Pool Junges Paar in Badekleidung am Pool
Cool, schön und eitel – so tugendhaft sollte jeder sein
Quelle: picture-alliance / Denkou Images/Denkou Images
Mit den Lebensumständen und dem Alter eines Menschen wird sich auch sein Stil verändern müssen. In Sachen Tugend ist die heutige Welt komplizierter geworden.

Gar keinen Stil zu haben, das geht nicht. Selbst die Spielarten menschlicher Verwahrlosung haben ihre kulturellen Trends. Auch diejenigen, die glauben, sie könnten sich aller Mode verweigern, haben nur die Wahl, entweder der von Vorgestern zu folgen oder wider Willen eine eigene zu erfinden. „Keinen Stil“ zu haben aber geht durchaus. Schließlich sagen wir von manchen Leuten, sie hätten Stil, woraus allein schon folgt, dass nicht alle ihn haben. Stil in diesem Sinn hat, wer über eine gewisse, schwer zu definierende Lebensart verfügt, die uns als besonders stimmig erscheint.

Dies fängt bei der Kleidung an, aber hört bei ihr noch lange nicht auf. Es betrifft das gesamte Verhalten von Frauen oder Männern, sofern es eine in ästhetischer wie ethischer Hinsicht gefällige Formung zeigt. Selbst Gangster können Stil haben, der sie immerhin befähigt, noch in ihrem Untergang die Contenance zu wahren.

Das Benehmen derer, die als Personen Stil haben, zeichnet eine innere Spannung aus, die sie zu einem differenzierten Agieren und Reagieren im sozialen Feld befähigt. Denen dagegen, die sich zuverlässig „stillos“ verhalten, geht ein solches Gespür ab. Sie wandeln vergleichsweise plump und formlos unter den Menschen, weswegen schon ihr Anblick einen das Gruseln lehren kann.

Es wäre jedoch ein Irrtum zu meinen, Stil sei bloß eine Sache der sozialen Distinktion, kraft derer sich vermeintliche Eliten vom vermeintlichen Pöbel und die Reichen von den Neureichen abzugrenzen suchen. Stilbewusstsein darf nicht mit Vornehmheit und den ihr eigenen Blasiertheiten verwechselt werden. Dennoch handelt es sich um ein durchaus aristokratisches Vermögen – nicht, weil es vorwiegend in den Oberschichten beheimatet wäre, sondern weil es ein Merkmal jener anonymen Noblesse darstellt, die in nahezu allen gesellschaftlichen Bereichen anzutreffen ist.

Der schätzenswerte Stil eines Menschen, welche Herkunft und soziale Stellung er auch haben mag, besteht in einem Sinn für das richtige Timing und Timbre der eigenen Lebensäußerungen. Diese Choreografie der Lebensführung kann man sich freilich nicht ein für alle Mal aneignen. Mit den Lebensumständen und dem Alter eines Menschen wird sich auch sein Stil verändern müssen. Wie in der Kunst, so gilt auch im Leben: Wer glaubt, seinen Stil gefunden zu haben, hat ihn schon verloren.

Coolness

Auch Tugenden haben ihre Zeit. Manche von ihnen, wie Klugheit, Gerechtigkeit oder Frömmigkeit, sind steinalt, andere hingegen sind weitaus jünger. So auch die Coolness. Sie zählt zu den neueren Produkten der ethischen Evolution. Zugleich ein musikalischer und menschlicher Stil, steht sie im Kontrast zu einer naiven Haltung. Ihr Habitus ist weder mit dem der Kühle, Kaltschnäuzigkeit oder eines kalkulierenden Verhaltens gleichzusetzen.

Am einfachsten lässt er sich negativ beschreiben. Cool zu sein besteht vor allem darin, nicht „uncool“ zu sein – nicht ängstlich, nicht hektisch, nicht zögernd, nicht zweifelnd, nicht vertrauensselig und schon gar nicht dumm. Coolness ist eine Mischung aus Gleichmut, Lässigkeit und Gewitztheit. Sie steht in Distanz zu Unempfindlichkeit und Überempfindlichkeit, Unangepasstheit und Angepasstheit gleichermaßen. In ihr drückt sich ein skeptisches Selbstvertrauen aus. Coole Zeitgenossen bleiben in Distanz gegenüber den Zumutungen enger gesellschaftlicher Konventionen; they don't care what the people say. Das macht sie stark; sie lassen sich in ihrem Lebensrhythmus nur wenig von außen erschüttern.

Vor allem Heldenfiguren des Kinos wie Humphrey Bogart, George Clooney, Marlene Dietrich, Lauren Bacall oder Uma Thurman haben diese Haltung populär gemacht. Sie geht mit einer erheblichen erotischen Attraktion einher. Die innere Reserve cooler Charaktere ist von dem Nimbus eines kontrollierten Begehrens umgeben, das sich nach ihrem Willen jederzeit entzünden kann. Diese wohltemperierte Leidenschaftlichkeit aber lässt sich im wirklichen Leben auf Dauer nicht durchhalten.

Leute, die immer cool bleiben wollen, dürfen ihre Verletzlichkeit nicht zeigen. Selbst vor sich selbst müssen sie so tun, als gingen sie ihre Verluste nichts an. Ihr Habitus wird zu einer Fassade, hinter der sich die Leere ihrer Gefühle verbirgt. Sie leben in der Illusion, dass nur sie es sind, die sich keine Illusionen machen. Nur brüchige Coolness ist cool.

Schönheit

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Wie? Schönheit – eine Tugend? Hässlichkeit – ein Laster? Das kann doch wohl nicht wahr sein! Doch, es kann.

Auf den ersten Blick scheint freilich alles dafürzusprechen, Schönheit für eine Tugend allein von Dingen zu halten – seien es Objekte der Natur oder Artefakte der menschlichen Kunstfertigkeit. Pflanzen, Tiere, Gärten, Landschaften, Städte, Kleider, Schmuck, Möbel, Autos sowie viele (und vielleicht sogar alle wirklich gelungenen) Werke der Kunst können als „schön“ bezeichnet werden, wenn sie vernehmbare Qualitäten aufweisen, durch die sie unser Dasein auf unterschiedliche Weise bereichern.

Die Attraktion solcher Objekte liegt in ihrem sinnfälligen Gut- oder Geglücktsein, an dem wir je nach Laune, Geschmack und Kultur teilhaben können. Auch die Techniken der Schminkkunst und die zweifelhaften Segnungen der Schönheitschirurgie sind Verfahren der Verschönerung am Objekt des menschlichen Leibes, die zwar eine Veränderung der Erscheinung der betreffenden Personen, nicht jedoch ihres Charakters bewirken.

Wäre das alles, so wäre es unangebracht, von der Schönheit bestimmter Menschen als einer Tugend eigener Art zu sprechen. Die Schönheit von Personen hätte als eine ethisch irrelevante Eigenschaft zu gelten, kaum anders als Attribute wie Körpergröße, Augenfarbe, der Bruder einer Schwester oder die Tochter einer Primaballerina zu sein. Man könnte nichts dafür. Man hätte eben das Glück oder das Pech, nach den jeweils gängigen Vorstellungen eher schön oder eher hässlich zu sein – oder dafür gehalten zu werden.

Schönheit oder Hässlichkeit käme den Menschen nach den immer auch willkürlichen Kriterien ihrer Kultur allein von Natur aus zu. Wie sehr ihnen dies auch zugutekommen oder zum Schaden gereichen würde – ihr Aussehen wäre eine Gabe oder ein Fluch und weiter nichts.

Selbst wenn das alles wäre, wäre es mit der Neutralität der Gestalt von Menschen nicht weit her. Denn immerhin erweckt Schönheit Sympathie und Hässlichkeit Antipathie, zumindest beim ersten Eindruck. Schönheit gefällt, erfreut, zieht an, verwirrt, betört – und zerstört („ Der blaue Engel“ ).

Hässlichkeit missfällt, betrübt, stößt ab, widert an – und bewirkt Vereinsamung („Der Glöckner von Notre-Dame“). Es ist unmöglich, auf diese Anmutungen der leiblichen Präsenz anderer Menschen nicht auf die eine oder andere Weise zu reagieren – auf ihr Gespinst aus Sein und Schein, Glanz und Trug, auf das, was an ihr Fassade oder Beseelung ist. Der Umgang mit dem äußeren Erscheinen von Menschen, mögen sie einem nahe- oder fernstehen, hat immer eine ethische Komponente.

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Aber auch zum eigenen, tatsächlichen oder vermeintlichen Schön- oder Hässlichsein kann und muss man sich verhalten. Manch einer lernt es, zu seiner Hässlichkeit zu stehen, und wird dann eine unbefangenere Aufnahme bei anderen finden. Manch eine steht ihrer Schönheit im Weg; sie macht sich zu einem Exponat ihrer körperlichen Vorzüge und wird sogar ihre Verehrer mit Leblosigkeit verprellen. Selbst Schönheit ist eine Bürde, die getragen sein will.

Das zeigt schon: Die Schönheit oder Hässlichkeit am Menschen ist überhaupt keine Sache rein körperlicher Eigenschaften allein. Sie ist immer auch eine Sache des Umgangs mit sich: damit, wie man sich mit der leiblichen Ausstattung, die einem gegeben ist, nimmt und anderen gegenüber gibt.

Eine gute Figur können auch Leute machen, die nicht unbedingt eine haben. So sehr es für einen selbst und die anderen einen Unterschied macht, in welchem Maß man zu den eher Wohlproportionierten gehört, und so ungerecht äußerliche Bildung und Missbildung auch unter den Menschen verteilt ist, wer sich auf sein vermeintliches oder tatsächliches Schönsein oder Hässlichsein fixiert oder fixieren lässt, macht sich starr – sich selbst und den anderen gegenüber.

Auch wer schön ist, es zu sein glaubt oder es sein will, muss gelegentlich den Mut zur Hässlichkeit aufbringen – einen Mut zur Abweichung von der eigenen ästhetischen Norm sowie von derjenigen der anderen. Menschen, die nur hässlich sind, gibt es ohnehin nicht. Reine Monster und ideale Wesen existieren nur in der Fiktion. Zartheit und Zärtlichkeit, Lebhaftigkeit und Leidenschaft, Fantasie und Wachheit, Spontaneität und Besonnenheit können vieles kompensieren.

Traditionell gesagt: „Äußere“ Schönheit ohne „innere“ ist keine; „äußere Hässlichkeit“ kann durch „innere Schönheit“ teilweise ausgeglichen werden. Es reicht aber nicht, eine „schöne Seele“ für sich zu reklamieren, die leider in einen ungestalten Körper eingesperrt ist. Innere Schönheit nämlich ist selbst eine Sache des für andere sichtbaren Benehmens. Sie liegt darin, wie man vor anderen als leibhaftige Person erscheint – als jemand, mit dem man ohne Verdruss und besser noch mit Vergnügen Umgang hat. Diese Ausstrahlung macht den Kern der Schönheit von Menschen aus. Wenn bestimmte unter ihnen besonders gut gebaut sind – umso schöner.

Anmut

Anmut, zusammen mit Esprit, Eleganz und ihren Verwandten, ist eine grundlegende soziale Erscheinungsform menschlicher Schönheit. Sie ist nicht an irgendwelche Symmetrien des Körperbaus gebunden. Schließlich gibt es auch eine schwerfällige oder schräge Grazie, die ihren leichtfüßigen und harmonischen Spielarten oft wenig nachsteht.

Anders als der „Ungustl“, wie die Österreicher ihn nennen, und seine rüpelhaften Kumpanen, bewegen sich die Anmutigen im privaten wie im öffentlichen Raum mit einer ansteckenden Gewandtheit. Solange sie sich darauf nichts einbilden, ist ihre ästhetische Tugend ein Wahrzeichen zugleich ihrer moralischen Sensibilität. In ihrem Tun und Lassen beweisen sie ebenso uneitles wie rücksichtsvolles Verhalten. Die Aufmerksamkeit für sich selbst und für andere hält sich bei ihnen in einer verblüffenden Balance. Charme schlägt Schönheit, weil er auf Dauer die größere Schönheit ist.

Eitelkeit

Um eitel zu sein, muss man sich nicht unbedingt für schön halten. Es genügt, wenn man sich in anderen Hinsichten toll findet – und glaubt, dass alle Welt einen Anspruch darauf hat, vorgeführt zu bekommen, was für eine brillante Erscheinung man ist. Der Glaube reicht aus. Dem Laster der Eitelkeit kann man aber auch erliegen, wenn man jene Qualitäten, in die man sichtbar verliebt ist, wirklich besitzt. So oder so glaubt man sich zu einem öffentlichen Genuss der eigenen Vortrefflichkeit berechtigt.

Peinlicher allerdings ist es, wenn sich dieses Dafürhalten auf wenig bis gar nichts stützen kann. Dann wird die Eitelkeit überdies zu einem Anzeichen von Dummheit und Dünkel – mit allen Risiken, sich lächerlich zu machen. Am schlimmsten freilich treiben es die negativ Eitlen: jene Leute, die niemals auch nur ein bisschen eitel tun, die immer ganz schlicht und ungeschminkt daherkommen, die auf ihr Äußeres keinerlei Wert zu legen scheinen, die so sehr darauf bedacht sind, sich ohne jede Affektiertheit zu präsentieren, dass es zur reinen Attitüde wird.

Immerhin haben die Eitlen für ihre Selbstbeweihräucherung ein ebenso starkes wie verständliches Motiv. Sie wollen gefallen. Wer wollte das nicht?

Die Gefallsucht beginnt erst da, wo man den anderen dadurch zu gefallen sucht, dass man durchblicken lässt, wie sehr man sich gefällt. Andererseits darf man sich für das, wovon man glaubt, man habe es wirklich und ehrlich verdient, ruhig einmal bauchpinseln lassen. Die Genugtuung über die eigenen Meriten im Zaum zu halten – so viel allerdings darf man schon erwarten.

Eine sehr viel weitergehende Apologie der Eitelkeit findet sich bei La Rochefoucauld: „Die Tugend ginge nicht so weit, wenn ihr nicht die Eitelkeit Gesellschaft leistete.“ Alle Menschen haben ein Bedürfnis nach Wertschätzung durch andere, auch und gerade dort, wo sie sich so verhalten, wie es sich eigentlich von selbst versteht. Das gilt zumal, wo Menschen um anderer willen erhebliche Mühen und Lasten auf sich nehmen. Niemand muss völlig selbstlos selbstlos sein.

Von niemandem kann man erwarten und erst recht verlangen, alle seine guten Taten ungesehen und ungehört zu vollbringen. Selbst Jesus hatte die Schar seiner Jünger dabei, die ihrer Aufgabe, die frohe Kunde überallhin zu verbreiten, gewissenhaft nachgekommen sind. Sosehr das „liebe Selbst“, wie Kant ironisch sagte, oft im Widerstreit mit der Stimme der Pflicht stehen mag, es ist zugleich eine nicht zu verachtende Antriebskraft bei ihrer Erfüllung. Würden wir uns nicht gut finden, wenn wir Gutes tun, und würden wir nicht gelegentlich darauf hoffen können, gut gefunden zu werden, wenn wir es tun, würden wir weit weniger Gutes tun.

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